Zauberei und Verbindlichkeit

Mit einer fast schon unheimlichen Regelmäßigkeit werden Bitten an mich herangetragen –mal kurz eben geschwind den eigenen üblen Zustand „wegzumachen“. Frei nach dem Motto „Du bist ja der Rootworker, mach das weg – das stört mich!“

Meine Antwort fällt in der Regel entsprechend knapp aus, wie  z. B.: „Tut mir leid, ich führe keine Auftragszauber durch, Du musst schon selbst Deinen Hintern hochbekommen. Was ich Dir anbieten kann, ist ein ganz persönlich für Dich entwickeltes Hoodoo Ritual, welches Dir Türen öffnet, um Deine Situation in die gewünschte Richtung zu ändern. Durchführen musst Du dieses Ritual jedoch selbst!“

Meist folgt dann in ziemlich enttäuschtem Tonfall: „Ja, aber ich dachte Du kannst zaubern?“

Worauf ich etwas schärfer frage: „Und …?“

„Ja, aber ich dachte ich muss da nichts machen, ich kann das ja gar nicht und ich hab auch gar keine Zeit für irgendein aufwändiges Ritual oder so. Ich dachte Du machst das weg, dann kann ich wieder weiter machen wie bisher.“

Da ich keine Lust habe jemanden zur Jagd zu tragen, beende ich dann das Gespräch relativ schnell, ungefähr auf diese Weise: „Tja, da muss ich Dich enttäuschen. Du scheinst Dich ja offensichtlich ganz wohl in Deiner Situation zu fühlen, sonst würdest Du Dir die Zeit zum zaubern gönnen. Tut mir leid, dann kann ich leider nichts für Dich tun. Ach ja, noch ein kleiner Tipp – denk mal über das Wort „Verbindlichkeit“ nach, könnte durchaus spannend werden.“

… und hier sind wir genau beim Thema.

 

Was bedeutet Verbindlichkeit?

Verbindlichkeit bedeutet, für sein eigenes Verhalten und seine eigenen Werte gerade zu stehen. Konsequent und ausdauernd sein Ziel zu verfolgen.

Sich einer anderen Person gegenüber verbindlich zu zeigen, heißt z. B. das eigene Versprechen einzuhalten – selbst wenn widrige Umstände die Umsetzung erschweren. Sich an Abmachungen zu halten. Sollte dann mal wirklich alles ganz übel laufen und die Verwirklichung des Planes kann definitiv so nicht durchgeführt werden, ist es selbstverständlich, auch dafür gerade zu stehen und sich verbindlich um eine beidseitige Lösung zu bemühen.

Damit das auch funktioniert ist Vertrauen, Ehrlichkeit, Fairness und ein korrekter Umgang miteinander die Voraussetzung und bildet die Basis für den weiteren, gemeinsamen Weg.

Verbindlichkeit erfordert Hingabe zu einer Sache und den Mut bereit zu sein, alles in die Wege zu leiten, um das besprochene „Ziel“ – im Idealfall – auch tatsächlich zu erreichen.

 

Verbindlichkeit und Zauberei

Eigentlich ganz einfach.

Du stellst ein „Problem“ fest, und bist bereit alles dafür Nötige zu tun, um dieses Problem zu lösen. Selbst wenn du dafür ein drei Monate dauerndes Ritual durchziehen müsstest, um endlich wieder Land zu sehen, dann wirst Du das tun. Weil Du es willst. Weil es Dir wichtig ist. Weil es Dir egal ist, ob Du gerade Bock darauf hast oder nicht. Weil Du bereit bist, Dein Leben in die Hand zu nehmen und deinem angeblichen Schicksal in den Hintern treten willst. Du willst eine Änderung – und ziehst es durch!

So einfach ist es. Emotionen haben da keinen Platz, sind unnützes Beiwerk, weil es um die Sache geht, nicht um das, was Du Dir vielleicht im stillen Kämmerchen vorkrümelst. Du willst Dein Problem lösen? Dann tu’s und labere nicht rum. Gib Gas und höre nicht auf Dein eigenes Phlegma.

 

Ich will keine Änderung!

Willst Du nicht wirklich etwas gegen Deinen unguten Zustand tun, dann zeige Dich doch wenigstens diesbezüglich verbindlich. Dann steh dazu, dann komm nicht zu mir und verlange eine Lösung, sondern genieße Deinen Zustand der Immobilität. Das klingt jetzt zynisch – aber ich meine es genau so.

Es gehört viel Mut dazu Schwäche zu zeigen, sich selbst zu reflektieren und festzustellen, dass man sich doch eigentlich ganz wohl im eigenen Leid fühlt. Dass es einem selbst Sicherheit gibt, wenn auch mit negativem Vorzeichen.

Es ist nicht schlimm zu sich zu stehen, zuzugeben, dass dieser augenblickliche ungute Zustand wohl doch nicht so schlecht ist, wie alle Anderen vielleicht meinen. Unangenehm wird es nur dann wenn man sich etwas darüber vormacht und Pseudolösungen sucht, nur damit man wenigstens so tun kann als ob man versucht die Situation zu ändern, die man eigentlich gar nicht ändern möchte.

Vor vielen Jahren sprach ich mit einer Frau die an Bulimie erkrankte. Sie war fasziniert von dem was ich tue und erklärte mir dann im ernsten Tonfall: „Weißt Du, ich will gar nicht gesund werden. Die Bulimie ist das einzige das ich habe, sie gibt mir die Sicherheit. Ich will nicht gesund werden, jetzt nehmen mich die Leute wahr, jetzt geht es mir gut. Es soll so bleiben und ich werde alles dafür tun, dass sich mein Zustand nicht ändert.“ Hut ab!

Das Schöne war, dass sie zwei Jahre später als „geheilt“ entlassen werden konnte. Als ich sie darauf ansprach, meinte sie lachend „Na – das was ich Dir damals so gesagt habe, gab mir selbst sehr zu denken. Dadurch konnte ich meine Krankheit annehmen und diese letzten Endes tatsächlich loslassen“.

 

Verbindlichkeit und die Spirits

Ein wunderbares Thema! Wenn Du wirklich Spirits an Deiner Seite hast – und Du Dir diese nicht nur einbildest – dann wird Dir – je nach Charakter des einzelnen Spirits, die Verbindlichkeit auf eine – sagen wir mal vorsichtig – sehr direkte Art und Weise näher gebracht.

Du hast Dich an Abmachungen zu halten, hast den Service zu machen und hast dem Besprochenen Folge zu leisten ohne Wenn und Aber! Es gibt kein „ich will nicht oder ich kann nicht.“ Rootworken bedeutet sich mit Leib und Leben der Zauberei und den Spirits zu widmen, da gibt es nichts dazwischen, nichts zu verhandeln.

Wenn Du dann doch mal abkackst (sorry, für meine direkte Ausdrucksweise), dann bringen Dich Deine Spirits mit Sicherheit ziemlich schnell wieder auf den harten Boden der Realität zurück.

 

Der wütende Baron

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Wie so was ablaufen kann, werde ich Dir hier an einem persönlichen, ziemlich unrühmlichen Beispiel beschreiben, ohne jedoch allzu sehr auf die privaten Details einzugehen.

Wie Du sicher schon gelesen hast, ist Baron Samedi mein Met Tet, also der „Meister des Kopfes“. Das bedeutet – in Kurzfassung, er ist der Spirit dessen Charakter und Energie meinem eigenen Wesen am ähnlichsten ist. Damit ist er mein „Schutzengel“ und ist deshalb auch für meine „Erziehung“ in jeder Hinsicht zuständig. Er lehrt mich nicht nur die Zauberei, sondern ist auch im Alltag allgegenwärtig.

Als Met Tet hat er den direkten Zugang zu meinem Kopf und kann meinen Körper oder Teile davon jederzeit übernehmen, ohne dass eine vorherige Trance meinerseits dafür notwendig wäre. Dies geschieht blitzschnell und so fließend, dass es meist die Anderen um mich herum schneller mitbekommen als ich selbst (meist wirke ich dann extrem maskulin und kraftvoll). Übrigens, deshalb werden Rootworker oft auch als „Zweiköpfiger Mann bzw. Frau“ bezeichnet, weil sich der Hauptspirit bei der magischen Arbeit oft den Kopf des Rootworkers „leiht“.

Baron Samedi alias Papa Samedi ist normalerweise für seine doch durchaus extrem lockere und unkomplizierte Art bekannt. Er lässt unendlich viel durchgehen, ist von fröhlichem Wesen, zeigt sich geduldig und ist auch bereit seinem „Kind“ eine Milliarden Mal die Sachen doppelt und dreifach zu erklären, die es begreifen muss. Er ist also der beste Spirit den man sich wünschen kann, sofern man ihn nicht verärgert.

Stur wie ich manchmal sein kann (liegt wohl am Stier Aszendenten), habe ich vor vielen Jahren jedoch mal seine Geduld massiv überstrapaziert. Ich hatte mich nicht an eine sehr wichtige Abmachung gehalten. Zugegeben, ich hatte einfach Besseres zu tun und habe die Sache nicht ernst genommen. Er wies mich einmal freundlich darauf hin, schwieg aber dann als er bemerkte, dass ich allen Hinweisen zum Trotz meinen eigenen Willen durchsetzte. Ich bemerkte zwar sein Schweigen, fasste es aber als Zustimmung auf …

… tja, da hatte wohl jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht.

 

Erst mal passierte nichts – sechs Wochen lang. Im wahrsten Sinne des Wortes, Nebelduft lief nicht mehr. Keine Bestellungen, nichts – wie tot. Im Zauberraum – Stille – wie die Stille vor dem Sturm. Kontakt zum Baron? Fehlanzeige. Zu den anderen acht Spirits? Nichts. Spätestens jetzt, hätten alle Alarmglocken bei mir klingeln müssen! Da ich jedoch noch anderes zu tun hatte, war mir dieser Zustand zwar bewusst, aber nicht von Bedeutung, im Gegenteil ich genoss die herrliche Ruhe.

Das änderte sich jedoch schlagartig …

… als mich eines Abends eine „donnernde Stimme“ in meinen Zauberraum zitierte. Ich war darüber so erschrocken, dass ich dem natürlich Folge leistete. Kaum dort angekommen, zog mir der Baron den Stecker und ich fiel heftig und überaus schmerzhaft auf meine Knie. Den Kopf konnte ich nicht  mehr nach oben heben. Vor mir sah ich komplett manifestiert einige Beinpaare in Anzughosen (weiter hoch konnte ich ja nicht schauen).

Was dann folgte war eine Züchtigung, wie man sie sich in den schlimmsten Albträumen nicht auszumalen vermag. Dazu sei nur so viel gesagt – ich bekam während dessen heftigste Krankheitssymptome, war mehr tot als lebendig und hörte die Barone (Baron Samedi kam mit seiner ganzen Crew)  mein eigenes Totenlied anstimmen. DAS war und ist noch immer schrecklich, das vergisst man nie im Leben mehr! Bewegen konnte ich mich nicht, das wusste er zu verhindern. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, ließ er von mir ab – wie wenn nichts geschehen wäre.

 

Die Zauberkrise oder der Weg zur Verbindlichkeit

 

Es dauerte einige Wochen bis ich mich wieder beruhigte. Ich fiel in eine tiefe Krise. Am liebsten hätte ich die ganze Zauberei an den Nagel gehängt, so gruselig war mir das alles. Ich heulte wie ein Schlosshund, war bis ins Mark erschüttert, tödlich beleidigt und bemitleidete mich selbst. Ich wollte das alles nicht mehr, ich wollte ganz gewöhnlich sein- unmagisch – ohne diese ganzen Verpflichtungen die man hat, wenn man mit Spirits arbeitet, wenn man zaubert.

Ich fühlte mich wie ein verschrecktes Reh und hatte eine scheiß Angst überhaupt nochmal mit meinen Spirits zu arbeiten (nicht dass ich diesbezüglich je eine Wahl gehabt hätte – die Spirits suchen Dich aus, nicht umgekehrt.) Meine ganze heile Welt wurde auf heftigste Art und Weise auf den Kopf gestellt, ebenso mein Konzept des angeblich freien Willens.

Dem Baron war’s egal und er ließ mir alle Zeit die ich brauchte, um meine Wunden zu lecken …

Die Fronten waren geklärt und er war wieder ganz der Alte, wie wenn nie etwas geschehen wäre.

Und ich? Wurde erwachsen, auch in magischer Hinsicht …

Seit diesem Tag, nehme ich mich selbst, die Spirits und die Zauberei von ganzem Herzen ernst. Verbindlichkeit zu mir, zu Anderen, zu dem was ich tue, bildet nun die Basis meines magischen Lebens. Erst durch diese Lektion habe ich verstanden was es bedeutet für sich und sein Leben gerade zu stehen. Wie gut es tut sich verbindlich zu zeigen …

… und ich genieße jeden Augenblick …

… denn durch Verbindlichkeit ist Zauberei erst möglich.