Baron Samedi – die Begegnung …

 

Es ist Nacht. Sterne funkeln klar am Himmel und der Mond zeigt sich von seiner schönsten Seite. Sein milchig weißes Licht leuchtet sanft auf die alten Gräber. Das warme Rufen eines Kauzes durchbricht die gespenstische Stille. Hier und da flackert ein Grablicht, während der Duft von feuchter Erde und Akazienblüten die Nachtluft erfüllt. Irgendwo, weit aus der Finsternis ruht ein wissender Blick auf Dir.

Dies ist sein Reich, dies ist sein Zuhause. Du kennst ihn – er kennt Dich.

Zwischen Euch – Stille -Totenstille.

 

Er zeigt sich Dir nicht – noch nicht. Er möchte Dich nicht erschrecken.

 

Könntest Du ihn sehen, wärst Du positiv überrascht. Groß, dunkel, muskulös. Sein schwarzer Frack und seine Hose – uralt, zerschlissen – ebenso sein Zylinder. Er trägt kein Hemd – wozu auch? Schuhe? – Nicht nötig. Sein Gesicht? Heute vielleicht jung, morgen alt, übermorgen knochig … – Ganz wie er mag, ganz wie es ihm beliebt. Die dunklen Augen sind mit einer Sonnenbrille geschützt. Seine Stimme, ein tiefer, warmer Bariton- sanft, einschmeichelnd, verlockend – zum Sterben schön.

 

Lässig an einen Baum gelehnt, in der einen Hand eine Zigarre in der anderen eine Flasche Rum, ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen, beobachtet er die Szenerie.

 

Sein Wesen?

Durchaus sanftmütig-, wenn er mag.

Und – mag er?

Nein, nicht immer.

Wie ist er dann?

Launisch, rüpelhaft, ungezogen -dabei aber immer charmant. Ein Baron eben.

Muss ich Angst haben?

Wenn Du magst …

 

Die Nacht wird ein wenig kühler, ein leichter Windhauch zieht auf, berührt Deine Haare, Deinen Körper … die alten knorrigen Bäume raunen ihr Nachtlied. Zögernd setzt Du Deinen Weg fort. In Deiner Hand, eine Flasche Rum, 3 Zigarren, ein paar Münzen und ein kleines schwarzes Päckchen.

Doch irgendwie werden Deine Beine schwer, es scheint, als ob der Boden zu Schlamm würde, als ob … Du weißt es nicht. Zur Sicherheit bleibst Du stehen, zu wackelig sind Deine Beine, zu müde – um weiter zu gehen. Du fröstelst. Das Päckchen dicht an Dich gedrückt …

Irgendetwas in Dir schreit leise auf, der Schwindel wird stärker und Du hast das Gefühl zu fallen, nach oben – nicht nach unten.

 

Wohin?

Ich weiß es nicht …

 

Eine kurze Panik, irgendwas Feuchtes rinnt Dir über die Wangen, dann – schwebend im weißen Nichts. Weit entfernt – Geräusche – unbekannt – egal. Nichts als Frieden, nichts als Ruhe, Nichts …

Würde man Dich fragen, wer Du bist – Du wüsstest keine Antwort.

 

Irgendwann – ein Sog, nach unten, unangenehm, kalt, zu kalt. Wie wenn etwas Großes in etwas ganz Kleines gepresst wird. Ein kurzes Taumeln …

Du schaust Dich um … fröstelnd … unendlich erschöpft … niemand da.

 

Dann erinnerst Du Dich …

… und sprichst mit zitternder Stimme in die Stille der Nacht:

 

„Kwa Simbo, Baron Samedi! Kwa Simbo“

 

Stille

 

… es wird kalt, der Wind erhebt sich noch einmal …

… direkt in Deinem Kopf hörst Du plötzlich eine sanfte Bariton Stimme …

 

„Was gibt’s? Warum so förmlich?“

 

… dann bricht es aus Dir heraus mal mit Weinen, mal mit Lachen erzählst Du ihm Dein Anliegen.

 

„Wirst Du mir helfen, Papa?“

 

Nichts …

 

… dann ein warmes Lachen …

 

„Das habe ich bereits getan, mein Kind. Komm, geh‘ nach Hause und schlaf ein wenig.“

 

Etwas irritiert legst Du das Päckchen nieder und gräbst es ein, dort wo es richtig scheint. Den Rum, die Zigarren lässt Du dort. Die Münzen glitzern golden im Gras …

 

Der Wind hat sich gelegt, die ersten Vögel beginnen zu zwitschern …

 

Dir geht es plötzlich gut, wie seit Jahren nicht mehr. Beschwingt läufst Du über den knirschenden Kies – zum Ausgang, ohne Dich nochmal umzudrehen.

Am Tor bleibst Du stehen und sprichst leise: „Gran mèsi anpil – Papa.“ Du spürst eine leichte Gänsehaut, eine Berührung, ein Hauch …

 

… mit einem Lächeln verlässt Du den Friedhof …

 

Weit entfernt, lässig an einen Baum gelehnt, in der einen Hand eine Zigarre in der anderen eine Flasche Rum, ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen, beobachtet Baron Samedi Dein Gehen …

 

Er weiß, ihr werdet euch wiedersehen …